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40 Jahre ATR

Wie Italien und Frankreich zusammen Weltmarktführer wurden

Vor 40 Jahren taten sich Italien und Frankreich zusammen. Das Resultat der Kooperation war ATR. Das Unternehmen ist heute Weltmarktführer bei Turbopropflugzeugen.

Sie sollten sich alleine aufgrund ihrer Lage und ihrer Sprache kulturell eigentlich nahestehen. Doch die Beziehungen zwischen Frankreich und Italien sind nicht die besten. Eine Umfrage des Institutes Ipsos ergab 2019, dass acht Prozent der Franzosen eine explizite Abneigung gegen Italien haben, umgekehrt haben sogar 38 Prozent der Italiener eine Abneigung gegen Frankreich.

Umso erstaunlicher ist das, was sich vor 40 Jahren zutrug. Am 4. November 1981 machten die französische Aérospatiale und die italienische Aeritalia gemeinsame Sache. In Paris vereinbarten sie, ihre Projekte für neue Turbopropflugzeuge nach dem Vorbild des 1969 gegründeten paneuropäischen Flugzeugbauers Airbus zusammenzulegen. Das Resultat war das Gemeinschaftsunternehmen ATR – was für Avions de transport régional oder Aerei da Trasporto Regionale steht.

Europäische Erstkunden

In Italien tüftelten die Ingenieure von Aeritalia seit Ende der Siebzigerjahre an der AIT 230. Der 16,35 Meter lange Flieger hätte 30 Reisende aufnehmen und 390 Kilometer pro Stunde schnell fliegen sollen. Für 1985 war die Markteinführung des Schulterdeckers geplant. In Frankreich arbeiteten die Experten von Aérospatiale an der AS 35. Der Turbopropflieger sollte 40 Reisende mit bis zu  460 Kilometer pro Stunde befördern können. Auch er sollte Mitte der Achtzigerjahre bereitstehen.

Fortan konzentrierten sie sich auf eine gemeinsame Entwicklung. Am 16. August 1984 absolvierte die ATR 42-300 als erstes Produkt des französisch-italienischen Gemeinschaftsunternehmens den Erstflug, im Folgejahr bekam es die Zulassung. Cimber Air, Command Airways, Air Littoral und Finnair waren Erstkunden des neuen Turbopropflugzeuges.

Bombardier reagiert

Die ATR 42 war ein Erfolg. Schon 1986 präsentierte ATR eine Stretch-Version. Die ATR 42 wurde um 4,5 Meter verlängert. Die neue ATR 72 konnte statt 48 nun 78 Reisende aufnehmen. Am 27. Oktober 1986 absolvierte sie ihren Erstflug. Drei Jahre später übernahm Finnair als erste Airline das erste Exemplar.

Doch die Euphorie der Aufbruchphase wurde bald geknickt. Ein niedriger Ölpreis machte plötzlich Regionaljets attraktiv, die Flugzeuge von ATR verkauften sich Ende der Neunziger und bis Mitte der Nullerjahre nur noch schlecht. Zugleich brachte Bombardier mit der Dash 8 Q400 im Jahr 2000 ein Konkurrenzprodukt auf den Markt, das schneller und leiser war und auch eine größere Reichweite aufwies. Nur beim Verbrauch lag die ATR noch vorn.

Erweiterung des Angebots

Damit nicht genug. 1994 war eine ATR 72 von American Eagle auf dem Weg vom Indianapolis nach Chicago wegen Vereisung der Tragflächenhinterkanten, wo sich konstruktionsbedingt keine Heizmatten des Enteisungssystems befanden, abgestürzt. Alle 68 Insassen  kamen ums Leben. In den USA wurde das Modell vorübergehend mit einem Flugverbot belegt. ATR erholte sich und stieg dennoch zum Weltmarktführer auf. 2018 lieferte das Unternehmen sein 1500. Flugzeug aus.

Zugleich präsentierte es eine Frachtversion der ATR 72. Das Angebot wurde zudem mit einer Schnellstartversion ergänzt, der ATR 42-600 S. Damit will ATR davon profitieren, dass dank Stol-Eigenschaften neue Flughäfen angesteuert werden können.

Neue Konkurrenz

ATR hat die Produktepalette seither immer weiter entwickelt. 2007 wurden die bisher neuesten Versionen ATR 42-600 und ATR 72-600 vorgestellt. Sie haben eine neue Avionik und eine rundum erneuerte Kabine. Der grundlegende Entwurf bleibt aber derselbe. Und darauf setzt nun Embraer. Die Brasilianer arbeiten an einem neuen Turbopropflugzeug, das den Modellen von ATR dank neuer Technologie weit überlegen sein soll.

In der oben stehenden Bildergalerie sehen Sie Aufnahmen aus der Geschichte von ATR.