Betroffene der Corona-Krise
Die Menschen mitten in der Krise
Flughäfen, Fluggesellschaften, Flugzeugbauern und Zulieferfirmen geht es schlecht. Wie aber geht es ihren Mitarbeitern? Zwölf Betroffene erzählen, wie sie die Corona-Krise erleben.
Viele Leute, das gleiche Schicksal: Die Corona-Krise trifft alle Angestellten der Luftfahrtbranche hart.
Viele Leute, das gleiche Schicksal: Die Corona-Krise trifft alle Angestellten der Luftfahrtbranche hart.
314 Milliarden Dollar, so schätzt die Internationale Luftverkehrs-Vereinigung Iata, gehen den Fluggesellschaften an Einnahmen verloren. Der Ausfall durch die Corona-Krise ist damit so hoch wie das jährliche Bruttoinlandsprodukt von Pakistan. Viele Fluggesellschaften haben ihren Betrieb auf ein Minimum reduziert oder ganz eingestellt, Flughäfen zählen nur noch wenige Passagiere pro Tag. Und die Aussichten sind nicht wirklich gut. Die Pandemie führt zu einem Rückgang der Wirtschaftsleistung und das bremst die künftige Nachfrage zusätzlich.
Die Zahlen sind jedoch das eine, auf der anderen Seite stehen die Menschen in der Branche, die mit dieser Krise nie dagewesenen Ausmaßes leben müssen. Wie geht es ihnen? aeroTELEGRAPH lässt zwölf Menschen aus der Luftfahrt zu Wort kommen, zwölf Menschen aus verschiedenen Ländern, Berufsgruppen und Altersklassen. Zwölf Menschen aber, die sich eines teilen: Ihre Liebe zum Beruf und die Sorge über die aktuelle Lage.
Marsha Richter (28), Flugbegleiterin bei Tuifly: «Wie in einem Apokalypsenfilm, so kam ich mir nach meinem letzten Rescue-Flug am menschenleeren Frankfurt Airport vor. Von 100 auf 0. Von einem optimistischen Blick in die Zukunft und einem vollen Dienstplan in die Kurzarbeit. Wird es wieder so werden, wie es war? Zwischen Hoffnung und Unsicherheit versuche ich mich strukturiert und motiviert durch einen ganz anderen Alltag zu bringen. Das Positive im Kleinen zu entdecken, meine Hobbys Laufen und Kochen durch noch mehr Wissen auf ein neues Level zu bringen oder völlig Neues auszuprobieren. Was ich während dieser Zeit auf jeden Fall feststelle: Wie sehr ich meinen Job mag und mein Team vermisse!»
Jens Ritter (46), Chief Operating Officer von Austrian Airlines: «Es macht mich unendlich traurig zu sehen, dass fast alle unsere Flugzeuge auf dem Vorfeld in Wien parken. All das, wofür das Team der Austrian Airlines so hart arbeitet, ist zum Erliegen gekommen. Der Auslöser dafür ist aber keine Fehlentscheidung, kein Konkurrenzdruck, sondern ein Virus. Bei all der Traurigkeit richten wir trotzdem den Blick nach vorne und werden diese Situation meistern. Die Menschen werden nach dieser Krise wieder fliegen – sei es für Geschäftsreisen oder dafür Freunde und Familie in die Arme zu nehmen. Wann das sein wird, ist noch nicht klar. Aber sobald die Nachfrage zurückkommt, werden wir als Austrian Airlines wieder für unsere Fluggäste da sein.»
Melanie D’Alimonte (44), Chef-Stewardess bei Luxair: «Wir erleben derzeit eine nie da gewesene Krise, mit noch nicht klar einschätzbarem Ausmaß. Der ganze Passagiertransport ist zum Stillstand gekommen. Fliegen ist unsere Leidenschaft, alle Kollegen sehnen sich danach, schnellstmöglich wieder abheben zu dürfen. So wie ich auch, arbeiten viele Mitarbeiter an den Vorbereitungen einer Wiederaufnahme des Flugbetriebes unter ganz neuen Voraussetzungen. Auch unser Kabinenpersonal bereiten wir jetzt schon auf diese neue Situation vor. Die Sicherheit unserer Mitarbeiter und unserer Gäste hat stets höchste Priorität. Wie seit jeher werden wir auch in Zukunft nach unseren Werten von Fürsorge, Passion und Verantwortung arbeiten. Dank dieser Einstellung wird Luxair ihren Kunden auch weiterhin ihren qualitativen, sicheren und neu angepassten Service anbieten können.»
Ervin Berekméri (29), Senior Software Developer für Crew Management Solutions bei Lufthansa Systems: «Es fühlt sich ein bisschen so an, als würde die Grenze zwischen Arbeit und Privatleben verschwimmen. Unser Arbeitsleben, unsere Kaffee- und Mittagspausen, selbst Bierabende finden nur mehr virtuell statt. Corona stellt die ganze Welt vor neuen Herausforderungen, daher habe mich dazu entschlossen, meine Fähigkeiten als Developer für etwas einzusetzen, was uns durch die Krise helfen kann. Für den Hack the Crisis Hungary Hackathon habe ich gemeinsam mit meinen Kollegen eine Idee für eine App zur Kontaktverfolgung entwickelt, um so die Ausbreitung des Corona-Virus einzudämmen. Ich hoffe wirklich, dass sich die Situation bald beruhigt, besonders das Reisen und das Entdecken neuer Länder fehlt mir sehr. Bis dahin erkunde ich zu Fuß – am liebsten gehe ich mit meinen Hunden an Orte, die sonst niemand kennt.»
Robin Fürst (23), Aircraft Engineer B1 bei Swiss Maintenance: «Ich erlebe diese ganze Krise mit gemischten Gefühlen. Einerseits ist es sehr interessant zu sehen, wie die Schweiz im Moment zusammenhält und als Team agiert. Andererseits muss ich auch eingestehen, dass mich das Ganze ein bisschen traurig macht. Speziell die Aviatik trifft es im Moment sehr hart und jeder, der in der Flugbranche tätig ist, wird verstehen, was ich meine. Wenn man am Morgen zur Arbeit geht und praktisch die ganze Flotte im Longtime Parking steht, tut das jedem weh, der etwas Fliegerei im Blut hat. Mittlerweile gehe ich mit der Situation entspannter um als zu Beginn. Dies auch aus dem Grund, dass man irgendwie nichts anderes machen kann als abwarten und die Regeln und Verhaltensanweisungen befolgen. Ich vertraue der Schweizer Regierung und fühle mich in der Schweiz geborgen. Ich mache mir große Gedanken um die Zukunft der Flugbranche. Wann wird der Betrieb wieder hochgefahren? Wird das Reisen teurer? Fliegt die Bevölkerung dieses Jahr überhaupt noch in die Ferien? Zudem beschäftigt mich, dass ich im Moment eine Weiterbildung in der Flugzeugtechnik absolviere und es eine ziemliche Herausforderung ist, diese von zuhause aus zu erarbeiten. An meinen Freitagen probiere ich ein wenig Struktur in meinen Tagesablauf zu bringen. Jedoch sind angestaute Arbeiten auch irgendwann erledigt, ist dies der Fall, gehe ich spazieren oder joggen. Bei der Arbeit gibt es trotz Kurzarbeit immer wieder das eine oder andere zu tun, sei es ein A-Check eines Flugzeugs oder ein Triebwerkwechsel. Das alltägliche Leben hat sich grundlegend geändert. Man muss im Moment seine Freizeit neugestalten und beim Arbeiten gibt es fast keine Routinearbeiten mehr, sondern es gibt neue Aufgaben in Bezug auf das Long Term Parking zum Beispiel. Ich denke auch, dass wir aus der ganzen Lage und Situation viele Erfahrungen und Schlüsselerkenntnisse ziehen können, die uns in der Zukunft helfen werden.»
Nicole Haginger (45), Senior Managerin Product and Services von Sun Express: «Ich bin gemeinsam mit meinem Team für das Design der Kundenerlebnisse verantwortlich. Hierzu zählt neben der Gestaltung des Bord- und Bodenproduktes auch das Callcenter. Das war in den vergangenen Wochen naturgemäß auch die mit Abstand größte Herausforderung: Tausende Kundenanfragen zu handeln, die aufgrund der teils sehr kurzfristig verhängten Reisebeschränkungen schubweise über uns hereinbrachen – eine echte Mammutaufgabe. Ein großartiger Gänsehaut-Moment war da die Reaktion auf unseren internen Mitarbeiteraufruf zur Unterstützung des Callcenters. Innerhalb weniger Stunden haben sich über 200 Kollegen gemeldet. Diese unglaubliche Solidarität und der Zusammenhalt im Team, unser Sun-Express-Spirit, der trägt uns jetzt durch diese Zeit.»
Marcel Schenker (53), Ramp Supervisor bei Swissport in Zürich: «Bizarr, bedrückend, ja fast gespenstisch lässt sich die momentane Atmosphäre am Flughafen Zürich umschreiben. Bei der Fracht-Entladung der rund fünf bis sieben Flugzeuge pro Tag umhüllt mich eine beklemmende Leere. Es ist viel zu ruhig für ein internationales Drehkreuz des Luftverkehrs. Sogar das Swissair-Grounding ist kein Vergleich, da nun alle Airlines gleichzeitig von der Flottenstilllegung betroffen sind. In der Kurzarbeit zieren nur noch wenige unbestätigte Einsätze mein sonst voller Dienstplan. Die finanzielle Einbusse schmerzt, die Arbeitskollegen mit Familien trifft es jedoch härter. Während der Isolation zuhause vermisse ich meine sozialen Kontakte. Lange Spaziergänge in der Natur und viel Sport lenken mich davon ab. Allzu schwarz male ich nicht: Denn das Wissen, dass das Flugvolumen wieder anzieht und ein normalerer Alltag einkehrt, hält mich bei Laune. Die Frage ist bloß, wann und wie.»
Katrin Zintl (26), Flugbegleiterin bei Lufthansa: «Für mich ist das Ganze eine surreale Situation. Ich vermisse das Fliegen und die Menschen um mich herum. Ich hoffe, dass sich die Weltwirtschaft erholen kann und wir unseren Flugbetrieb wieder ausbauen können. Meine Zeit verbringe ich mit Lesen oder draußen mit Joggen und spazieren gehen. Firmenintern halte ich mich mit freiwilligen Webcasts oder Skype Calls up to date. Jetzt habe ich mehr Freizeit, da mein Flugbetrieb nur noch 5 Prozent des Streckennetzes bedienen kann. Ein eingeschränkter sowie sensibilisierter Umgang mit Menschen findet aufgrund vom einzuhaltendem Sicherheitsabstand und dem Tragen von Masken statt.»
Dirk Juchert (55), Flugkapitän bei Emirates: «Dies sind beispiellose Zeiten in meinen über 25 Berufsjahren als Pilot. Es bricht mir das Herz, im Moment den Verkehr über Flugverfolgungsportale am Himmel zu verfolgen und unsere aktuell begrenzten wenigen Passagierdienste und Frachtflüge am Dubai International Airport zu beobachten. Normalerweise einer der verkehrsreichsten der Welt. Wenn man als Pilot rund um den Globus fliegt, ist es ziemlich schwierig, vom Home Office aus zu arbeiten. Ich bin derzeit nicht im Dienst und versuche, das Beste aus der Situation zu machen: mir Zeit zu nehmen, um sich elektronisch mit Familie und Freunden auszutauschen, die Bücher auf meinem Nachttisch tatsächlich zu lesen und um wieder öfters Gitarre zu spielen. Das Leben in Dubai ist derzeit auch ganz anders als normal. Das sonnige Wetter ist perfekt, wir können nur nicht an den Strand. Aber ich genieße meinen Garten. Wir werden das gemeinsam durchstehen und gestärkt aus dieser Situation hervorgehen. Ich kann es kaum erwarten, meine Uniform wieder anzuziehen und im Dienstplan meinen nächsten Zielflughafen zu lesen, sobald wir unser Streckennetz wieder aufnehmen können.»
Sarayut Juthamontree (35) Lademeister am Flughafen Frankfurt: «Teamarbeit ist entscheidend – gerade jetzt in Krisenzeiten. Da kommt es darauf an, dass jeder schaut: ‹Wo ist Not am Mann?› ‹Wo kann ich helfen?› Eigentlich bin ich als Lademeister vor allem für die Be- und Entladung von Passagiermaschinen zuständig. Nachdem diese aber kaum noch fliegen, packe ich bei den Frachtflügen mit an. Zudem kann ich fast alle Fahrzeuge der Fraport-Bodenverkehrsdienste fahren, was Flexibilität ermöglicht. Es ist wichtig, dass wir uns bei den Bodenverkehrsdiensten, oder BVD wie wir sagen, als Einheit verstehen. Und wir brauchen Geduld, denn es wird dauern, bis der Luftverkehr wieder Fahrt aufnehmen kann – aber das wird er.»
Lisa Mutz (27), Senior Cabin Attendant, bei Helvetic Airways: Mir wurde schnell bewusst, wie ernst die Lage wirklich ist, als auf einmal nach und nach die Flüge aus meinem Dienstplan verschwanden. Ich persönlich gehe mit der Situation recht gut um und versuche mich nicht verrückt zu machen. Alles in allem lebe ich mit einem anderen Bewusstsein. Wir können uns sehr glücklich schätzen, überhaupt noch unseren Lohn zu bekommen. Als Teil der Rückholaktion des Schweizer Außenministeriums durfte ich Anfang April noch einmal fliegen. Als wir am Abend mit Applaus in Zürich landeten, wurde mir bewusst, wie dankbar unsere Gäste waren. Man weiß wieder einmal mehr zu schätzen, was man hat, und möchte seinen ganz eigenen Beitrag in dieser speziellen Situation leisten.»
Vladi Barrosa (47), Unternehmenssprecher von Skyguide: «In der Task Force, welche die Firma durch diese Krise führt, bin ich der Vertreter der Kommunikation und stelle sicher, dass alle Mitarbeitenden regelmäßig über alle getroffenen Maßnahmen informiert sind. Das heißt, neben meinen Aufgaben als Sprecher von Skyguide mache ich in dieser Zeit vor allem interne Kommunikation. Für mich habe ich einen guten Mix gefunden: Morgens arbeite ich von zuhause aus, am Nachmittag bin ich im Büro und sehe einzelne Kollegen. Sonst wäre mir wohl längst die Decke auf den Kopf gefallen. Spannend ist für mich, dass ich locker auf vieles verzichten kann, was mir bisher als wichtig erschien. Am Ende ist die Gesundheit das Wichtigste.»
Felix Jörding (23), Fluggerätemechaniker bei Tuifly: «Als wir begannen, das erste Flugzeug einzumotten, merkte ich erst wie ernst die Lage wirklich ist. Nachdem nun nichts mehr fliegt und alle Flugzeuge auf dem Vorfeld stehen, überkommt mich ein komisches Gefühl. Wie lange wird diese Situation noch andauern? Momentan können wir die Zeit noch nutzen, um geplante Wartungsarbeiten an den Flugzeugen durchzuführen. Aber auch diese Checks sind bald abgeschlossen, weshalb nun die Kurzarbeit bevorsteht. Dabei versuche ich dem Ganzen etwas Positives abzugewinnen – dass ich mehr Zeit für meine Hobbys wie etwa Rennradfahren habe. Dennoch kann ich es kaum erwarten, unsere Flugzeuge wieder fliegen zu sehen!»