Letzte Aktualisierung: um 8:57 Uhr

Absturz des Airbus A330 von Air France

Das Protokoll von Unglücksflug AF447

Ein Fachmagazin wertete die Daten des Unglücksfluges von Air France aus. Ein Protokoll von Übermut, Unerfahrenheit und Pech.

Immer mehr Details des Fluges von Rio de Janeiro nach Paris kamen in den letzten Monaten an die Öffentlichkeit. Seit der Publikation des Buches über das tragische Unglück, «Erreurs de pilotage» (Pilotenfehler) von Flugkapitän Jean-Pierre Otelli, kennt man auch Teile des Dialoges im Cockpit. Doch nun geht das amerikanische Magazin Popular Mechanics einen Schritt weiter und analysiert die Aufnahmen aus dem Cockpit eingehend mit Experten. Auch wenn die offizielle Untersuchung noch nicht abgeschlossen ist und man nicht klar sagen kann, was wirklich zu dem Unfall führte – das Resultat der Analyse ist erschreckend. Übermut, Unerfahrenheit, fehlende Absprache und unklare Befehlsketten scheinen einen wesentlichen Beitrag zum Absturz über dem Atlantik mit 228 Toten geleistet zu haben.

Popular Mechanics führt in einer Art retrospektiver Live-Reportage mit Kommentar durch die letzten Minuten an Bord des Fluges AF 447. Wie geben hier große Teile wieder:

01.36 Uhr: Der Airbus A330 von Air France fliegt in den tropischen Sturm vor der Nordostküste Brasiliens. Andere Maschinen vor ihnen haben das Tiefdruckgebiet umflogen, die französische Crew steuert aber direkt hinein. Weil das Flugzeug noch vollgetankt ist, kann es nicht über die Wolkendecke fliegen.

01:51 Uhr: Im rechten Sitz: Der 32-jährige Kopilot P.B. Plötzlich wird das Cockpit durch ein grelles Licht erleuchtet. «Was ist das?», fragt der junge Mann den erfahrenen Flugkapitän M.D. «Das ist das Elmsfeuer», antwortet er und spricht ein Wetterphänomen an, bei dem sich elektrische Ladung entlädt und für Licht sorgt.

02:02 Uhr: Der andere Kopilot, D.R., kommt ins Cockpit zurück. Er hatte sich zuvor etwas zur Ruhe gelegt. Er ist mit der rund doppelten Anzahl Flugstunden weitaus erfahrener als P.B. Der Pilot steht auf und übergibt D.R. das Kommando. Der nimmt im linken Sitz Platz, überlässt aber die Steuerung dem jungen Kollegen P.B. In 15 Minuten werden sie und alle Menschen an Bord tot sein.

02:03:44 Uhr: P.B. sagt: «Die intertropische Konvergenzzone. Schau, wir sind drin, zwischen Saipu und Tasil (zwei Flugkoordinationspunkte, Anmerkung der Redaktion). Und schau, wir sind voll drin».

02:05:55 Uhr: «Lass uns sie hinten rufen, damit sie wissen…» sagt D.R. Er drückt den Schalter zur Kommunikation mit den Flugbegleitern.

02:05:59 Uhr: Eine Flugbegleiterin meldet sich auf der Gegensprechanlage: «Ja? Marilyn.» «Ja, Marilyn, hier P.B. von vorne. Hör zu, in zwei Minuten werden wir in eine Gegend kommen wo es noch etwas mehr schütteln wird als jetzt. Vielleicht seht ihr euch vor», sagt P.B. «Okay, sollen wir uns denn hinsetzen?», fragt die Flugbegleiterin. «Hmmm, ich denke das ist keine schlechte Idee. Unterrichte auch deine Kollegen», sagt P.B. «Ja, okay ich werde es allen hinten sagen» antwortet Marilyn. «Ok, ich rufe dich wieder, sobald wir wieder draußen sind», quittiert P.B. «Okay» sagt die Flugbegleiterin.

02:06:50 Uhr: Die Kopiloten diskutieren die unübliche Wärme. Und sie sprechen darüber, wie froh sie sind in einem wendigeren A330 zu fliegen und nicht in einem A340. Sie fliegen durch dicke Wolken, was das Risiko von Eisbildung erhöht. Dann sagt P.B: «Lass uns das Anti-Vereisungssystem starten. Das ist besser als nichts».

02:07:00 Uhr: «Wir scheinen am Ende der Wolkenschicht zu sein, es sollte gehen», sagt P.B. Sein Kollege studierte in dieser Zeit den Radar und merkte, dass der falsch eingestellt war. Er korrigiert das und bemerkt dabei, dass sie gerade in eine extrem aktive Zone fliegen. «Du könntest etwas nach links ziehen» sagt er. «Wie bitte?» antwortet P.B. «Du könntest etwas nach links ziehen. Wir waren uns einig, dass wir im manuellen Modus sind, oder?», sagt D.R. Der andere gehorcht und zieht nach links. Ein Geruch von Ozon strömt ins Cockpit. P.B. ist beunruhigt. D.R. besänftigt: Das habe mit dem Wetter zu tun. Die Pfeifgeräusche werden lauter. P.B. fragt, ob er Sicherheitsmassnahmen treffen soll, um einen Brand der Turbinen infolge starker Vereisung zu verhindern. Just in dem Moment klingt für 2,2 Sekunden ein Alarmsignal auf, das anzeigt, dass sich der Autopilot abschaltet. Grund dafür ist der Fakt, dass die Pitot-Sonden vereist sind, welche für die Geschwindigkeitsmessung bestimmt sind. Sonst ist mit dem Flugzeug alles in Ordnung.

02:10:06 Uhr: Autor Otelli merkt hier in seinem Buch an, dass Piloten im Training auf solche Situationen vorbereitet werden. Doch weder P.B. noch D.R. genossen eine solchen Ausbildung. P.B. begeht da einen schwerwiegenden Fehler. Obwohl er noch kurz zuvor mit seinem Kollegen darüber diskutierte, dass sie bei einer so hohen Temperatur nicht aufsteigen können, zieht er den Steuerknüppel zurück und geht damit in einem scharfen Steigflug. Popular Mechanics zitiert einen Experten, der sagt, was man in einer solchen Situation machen würde. Man würde alle Daten, die zur Verfügung stehen dazu verwenden, die Geschwindigkeit abzuschätzen. Das geschah aber nicht.

02:10:07 Uhr: Im Cockpit erklingt die Warnung vor einem Strömungsabriss. «Stall» sagt die Computerstimme, danach folgt die unangenehme Sirene. «Was ist das?», fragt D.R. «Das ist nicht gut. Wir haben keine vernünftige Indikation für die Geschwindigkeit», sagt P.B «Wir haben also die Geschwindigkeit verloren» so D.R. weiter. Die Maschine steigt jetzt mit atemberaubenden 2130 Metern pro Minute. Dabei fällt die Geschwindigkeit auf erschreckende 170 Stundenkilometer. Die Stall-Warnung erklingt 75 Mal im Cockpit, dennoch zieht P.B. die Maschine weiter hoch – das Gegenteil von dem, was er hätte tun sollen.

02:10:27 Uhr: «Pass auf deine Geschwindigkeit auf. Pass auf deine Geschwindigkeit auf» schreit D.R. Popular Mechanics folgert, dass hier die vertikale Geschwindigkeit gemeint sein muss.

02:10:28 Uhr: «Ok, ok, ich gehe wieder runter» sagt P.B. «Du stabilisierst», fährt D.R. fort. P.B.: «Yeah». «Geh runter. Es sagt, wir würden steigen. Es zeigt an, wir würden steigen. Also gehe runter», sagt D.R. «Okay», antwortet P.B. In diesem Moment beginnt das Anti-Vereisungs-System zu wirken und die eine Pitot-Sonde meldet wieder korrekte Geschwindigkeitsangaben.

02:10:36 Uhr: «Geh runter!» schreit D.R. und P.B antwortet: «Geschafft, wir sinken». «Sachte» warnt D.R. Der andere hat den Steuerknüppel losgelassen, der Aufstieg wird langsamer, die Geschwindigkeit steigt auf 410 Stundenkilometer. P.B bemerkt, dass er weiter steigt. «Yeah, wir sind in <climb>», sagt er. Statt die Nase zu senken, macht er aber weiter wie bisher, mit weniger Druck. D.R. drückt einen Schalter, um den Flugkapitän zu rufen. «Verdammt wo ist er?» ruft er. Das Flugzeug fliegt jetzt rund 770 Meter über der üblichen Reiseflughöhe. Das Flugzeug ist aber in diesem Zeitpunkt wieder unter Kontrolle der Crew. Und da tut P.B. das, was er schon zuvor getan hatte: Er zieht den Steuerhebel nach hinten. Wiederum erklingt die Warnung vor einem Strömungsabriss. Popular Mechanics befragt dazu einen Experten. Der sagt, die Piloten hätten die Warnung eventuell ignoriert, weil sie sich gar nicht vorstellen konnten, dass ein Airbus in einen Strömungsabriss kommen kann. Denn üblicherweise verhindern Computer solche Situationen. Wenn aber keine Geschwindigkeitsmessungen verfügbar sind, schaltet sich dieser Mechanismus ab.

02:10:55 Uhr: D.R. schreit: «Verdammt!». Die zweite Pitot-Sonde ist nun eisfrei. Eigentlich hätten die Piloten nun alle Angaben gehabt, um das Flugzeug unter Kontrolle zu bringen.

02:11:03 Uhr: «Ich bin in TOGA, richtig?», sagt P.B. Popular Mechanics folgert daraus, was der Kopilot sich dachte. TOGA steht für Take Off, Go Around. Dabei muss ein Pilot schnell Höhe und Geschwindigkeit gewinnen. Dazu wird die Nase in einem bestimmten Winkel gebracht. Bloß geht das nahe am Boden relativ einfach, in über 11’430 Meter Höhe aber hat es fatale Folgen. Statt aufzusteigen sinkt das Flugzeug. Das Magazin erklärt das damit, dass unter Stress die Teile des Hirns lahmgelegt sind, welche für innovative Lösungen stehen. Man kann das, was Routine ist. Und die TOGA-Prozedur wird immer wieder geübt. Nur gilt sie eben nur in Bodennähe.

02:11:06 Uhr: «Verdammt, kommt er oder kommt er nicht?», flucht D.R. und meint damit den Kapitän. Das Flugzeug ist auf der maximalen Höhe, fliegt kurz horizontal und sinkt dann ab. «Wir haben die Motoren noch. Was ,verdammt noch mal, passiert hier? Ich versteh nicht, was hier passiert!» ruft D.R. Er merkt nicht, dass P.B. den Steuerhebel immer noch nach hinten zieht. Das liegt daran, dass die beiden Steuerhebel asynchron funktionieren, wie Popular Mechanics schreibt. Der rechte Pilot merkt nicht, was der andere macht. Und die beiden Kopiloten unterlassen etwas, was in einer solchen Situation unerlässlich ist: Crew Resource Management oder CRM. Oder anders ausgedrückt, sie kooperieren nicht. Die Befehlskette ist nicht klar, weil der Pilot nicht anwesend ist. Die Maschine beginnt, immer schneller in Richtung Atlantik zu stürzen.

02:11:32 Uhr: «Verdammt, ich habe die Kontrolle über das Flugzeug verloren. Ich habe das Flugzeug nicht mehr unter Kontrolle», sagt P.B. Kurze Zeit später sagt D.R. «Links übernimmt Kommando!» Zwar liegt die Steuerung jetzt beim erfahreneren Kopiloten, doch auch der zieht die Nase hoch. Die Stall-Warnung klingt weiter.

02:11:43 Uhr: Der Pilot M.D. kommt ins Cockpit zurück. «Was macht ihr da?», fragt er. «Wir verlieren die Kontrolle über das Flugzeug», antwortet P.B. «Wir haben die Kontrolle total verloren. Wir verstehen nichts mehr. Wir haben alles versucht». Das Flugzeug liegt jetzt mit einem Winkel von 41,5 Grad in der Luft und verliert rund 3000 Meter Höhe pro Minute. M.D. übernimmt jedoch nicht die Steuerung. Experten von Popular Mechanics vermuten, dass das Flugzeug wohl ziemlich stark geschüttelt hat. Und folgern, dass man in diesem Moment die Steuerung nicht einmal kurzzeitig unbesetzt lassen wollte. Doch vom Rücksitz sieht M.D. nicht auf die Instrumente und kann die Lage deshalb auch nicht richtig beurteilen.

02:12:14 Uhr: «Was denkst du? Was denkst du? Was sollen wir tun?», fragt D.R. «Nun, ich weiss es nicht» sagt Flugkapitän M.D. Alle drei diskutieren kurz, ob sie nun steigen oder fallen. Das Wort Strömungsabriss ist dabei kein Thema. Auf rund 3000 Metern über der Meeresoberfläche versucht D.R. den Steuerhebel nach vorne zu drücken – eigentlich korrekt. Doch der Kollege im rechten Sitz macht das Gegenteil. Die Folge ist, dass die Maschine weiter fällt.

02:13:40 Uhr: «Steig auf, steig auf, steig auf», sagt D.R: «Aber ich zog den Steuerhebel schon die ganze Zeit nach hinten», antwortete P.B. Nun wissen die beiden, was ihr Kollege getan hat. «Nein, nein, nein… Nicht steigen, nein, nein….» sagt Kapitän M.D. «Also steig auf. Mach, gib mir die Steuerung. Mir die Steuerung!» schreit Kopilot D.R. Nun erklingt eine Crash-Warnung. P.B übernimmt ohne zu fragen wieder die Steuerung und zieht hoch.

02:14:23 Uhr: «Scheisse, wir werden crashen. Das darf nicht wahr sein!», sagt D.R. «Aber was passiert hier?», fragt P.B.

02:14:27 Uhr: «Pitch von 10 Grad», sagt Kapitän M.D. 1,4 Sekunden später stoppt die Aufzeichnung.